Interview in „The Yoga Affair“, Blog über Yoga, Meditation und Reisen. Juli 2016.
Liebe Mira, du verbindest zwei unheimlich spannende Themen: Psychotherapie und Yoga. Wie und wann kam es dazu?
Das war ein ganz organisches Zusammenwachsen dieser beiden Berufsfelder, die ich als ungemein synergetisch empfinde: in der Psychotherapie geht es um das Heilen alter Traumata, das Integrieren schwieriger Erfahrungen und das Bewusstwerden von «Schatten-Anteilen», die uns hindern, unser Potential zu leben. Im Yoga geht es mit anderen Techniken und in einem anderen kulturellen Zusammenhang eigentlich um dasselbe: einen Weg zu gehen, der für viele von uns beim Körper beginnt, zum Atem und Beruhigen des Geistes führt, alte im Körper gespeichterte «Samskaras» aufzulösen beginnt und uns Schritt für Schritt über das «kleine Ego» in den grossen Raum des «wahren Selbst» führen will. Was lag näher, als diese beiden Wege zu verbinden und für meine Patienten/Innen zugänglich zu machen. Ich begann mit kleinen Gruppen von Psychotherapie-Patienten, die sehr gut auf die Yoga-Stunden reagierten und brachte dann nach und nach einzelne Yoga-Tools in die Praxis und in die normalen Therapie- Stunden. Atem, Mudras, einzelne Asanas wurden in den Therapieprozess integriert. So entstand über die Jahre die Yoga-Psychotherapie.
Wann hast du zum Yoga gefunden?
Nach dem Gymnasium habe ich erstmal lange nach einem spirituellen Weg gesucht – nicht indem ich nach Indien gefahren wäre, sondern indem ich dies zum Inhalt meines Studiums gemacht habe: ich studierte erst Theologie, dann vergleichende Religionswissenschaft und Philosophie und war schon damals von den östlichen Wegen – wie jenem des indischen Heiligen Ramana Maharshi und dem Zen-Buddhismus – fasziniert. Danach studierte ich Psychologie und machte eine Ausbildung als Körperpsychotherapeutin. 2003 hat mich dann eine Freundin in eine Hatha-Yoga Stunde mitgenommen und ich wusste auf Anhieb: das ist es! Körper, Seele und Geist in Einheit! Es gibt viele Berührungspunkte zwischen Yoga und Psychologie.
Welche erachtest du als besonders essentiell und warum?
Darüber könnte man nicht ein, sondern viele Bücher schreiben – und es gibt bereits viele Bücher, die sich dem westlichen und östlichen Weg zur Psyche (Seele) widmen. Insofern kann ich diese Frage so nicht beantworten, sondern muss sie umformulieren: im Yoga geht es um das Essentiellste des Menschseins und alle Seins-Ebenen werden dabei miteinbezogen. Der Körper, die Emotionen, die Geistesformationen, die Handlungen des Menschen sich selbst und anderen gegenüber (Yamas und Nijamas): all dies sind auch Bereiche, die von der westlichen Psychologie ebenfalls betrachtet und erforscht werden. Was hier jedoch fehlt – und dies hat mit dem modernen materialistischen, naturwissenschaftlichen Weltbild zu tun – ist die spirituelle Dimension. Im Yoga streben wir einen Weg, eine Entwicklung, eine Öffnung an, die unser Alltagsbewusstsein in einer Weise befriedet und transzendiert, wie das in der modernen Psychologie noch nicht gewagt wird. Es gibt zwar schon einige Versuche, Meditation wissenschaftlich zu erfassen, aber dies ist nicht vergleichbar mit dem, was wir im Yoga erleben, wenn sich ein Zustand von Samadhi öffnet. Insofern ist Yoga letztlich radikal subjektiv, westliche Psychologie bemüht sich hingegen, «objektive» Ergebnisse vorzulegen.
Wie arbeitest du mit Menschen, die zu dir kommen? Ist Yogatherapie immer ein Teil der Behandlung?
Nein, leider noch nicht immer. Es kommt sehr auf den Menschen an. Manche Patienten sprechen zu Beginn besser auf eine herkömmliche Gesprächspsychotherapie an, die nur einige sanfte Körperübungen integriert, zum Beispiel tiefes Atmen oder das Hineinspüren in den eigenen Körper. Erst langsam können wir dann auch den ganzen Körper miteinschliessen. Für andere hingegen ist von Beginn weg Yoga-Psychotherapie genau das Richtige, weil sie bereits erkannt haben, dass Reden alleine zu wenig hilft und die tieferen, unbewussten Strukturen dadurch nicht verändert werden können. Insgesamt ist die moderne Psychotherapie-Forschung dahin gekommen, dass «Reden alleine nicht reicht», wie ein grosser Kongress in Heidelberg hiess. Ich bin zutiefst überzeugt, dass Yoga-Psychotherapie die nächste grosse Welle sein wird, weil Yoga an sich zutiefst heilend ist und Psychotherapeuten auf der ganzen Welt dies an sich selbst entdecken, sobald sie selber praktizieren.
Gibt es ein schönes Buch zum Thema, das du unseren Lesern dazu ans Herz legen willst?
Leider bin ich selbst noch auf der Suche nach diesem Buch, das Yoga und Psychotherapie kongenial vereint. Am ehesten vielleicht noch Anna Trökes und Bettina Knothe «Yoga-Gehirn» oder «Neuro-Yoga», obwohl da die mir so wichtige spirituelle Dimension auf Grund des Anspruchs auf Wissenschaftlichkeit etwas zu kurz kommt und es auch nicht um Psychotherapie geht. Dennoch sind beide Bücher spannend zu lesen. Wenn ich mal in Pension gehe oder ein Sabatical nehmen kann, plane ich das Buch «Yoga-Psychotherapie» zu schreiben, was leider noch etwas warten muss…