«Reden allein reicht nicht»[1], diese Erkenntnis ist heute in den allermeisten Psychotherapie-Schulen angekommen. Ebenso haben die meisten Psychotherapierenden bereits die Erfahrung gemacht, dass es hilfreich ist, den Körper als «Gefäss» gespeicherter Information in den Veränderungsprozess von Erleben, Fühlen, Denken und Verhalten einer Person miteinzubeziehen. Doch wie genau dies geschehen soll und weshalb dies so wichtig ist, wird auch heute noch immer in vielen Berufsausbildungen dieses Gebietes nicht vermittelt.
Nicht nur die moderne Neuropsychotherapie-Forschung versucht, Antworten auf diese Fragen zu finden, auch eine andere ‘Wissenschaft’ hat sich dem Zusammenhang von Körper und Geist bereits seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden gewidmet: die ‘Wissenschaft des Yoga’. Yoga gibt Antworten, die für die moderne, neurobasierte Psychotherapie zentral wichtig werden könnten. Yoga in seiner körperlichen Form[2] des Hatha-Yoga ist eine Kunst der physischen, psychischen und mentalen Heilung, die im Osten seit langem auch im Einsatz mit psychisch kranken Menschen zur Anwendung kommt. Nun da Yoga auch im Westen praktiziert wird und immer mehr Aufmerksamkeit erhält, liegt es auf der Hand, dessen Techniken für die psychotherapeutische Arbeit nutzbar zu machen.
Die Yoga-Psychotherapie YoPT hat sich genau dies aufs Banner geschrieben: das alte yogische Heilwissen neu aufzubereiten und die yogischen Techniken psychotherapeutisch einzusetzen. Deshalb vermittelt die YoPT, wie man Körperhaltungen (Asanas), Handpositionen (Mudras), Atemtechniken (Pranayamas) und meditative Achtsamkeit in den Psychotherapieprozess integrieren kann.
Der gewaltige Siegeszug des Yoga, den wir ihn in den letzten 30 Jahren beobachten konnten, hängt mit ebendiesen therapeutischen Eigenschaften seiner Techniken zusammen. Denn Yoga kann beruhigen, aktivieren, ausbalancieren und das Nervensystem stimulieren. Yoga wirkt auf den Körper ein und löst dabei physische und psychische Verspannungen – alles für die Psychotherapie wichtige «Tools». Im klassischen Hatha-Yoga geht es ursprünglich auch nicht um Fitness, Stärkung oder Flexibilität des Körpers, sondern um die Transformation der Psyche und des Geistes.
Dekodieren wir die alten yogischen Techniken und formulieren wir ihre Wirkung in modernen Begriffen der Neurowissenschaft, so zeigt sich folgendes: die yogische Atemsteuerung führt zur Beruhigung oder zur Aktivation des Autonomen Nervensystems (ANS) wie auch der Hirnaktivität. Bei den Handhaltungen geht es um den Ausdruck von Emotionen oder umgekehrt, um das Erwecken und Transformieren von Gefühlen, die mit dem Handausdruck gekoppelt sind. Handbewegungen sind, wie wir vom Gestikulieren her wissen, unmittelbar mit unbewussten Emotionen verbunden. Die Körperpositionen bewirken eine Faszien-Dehnung und damit eine Veränderung des Muskeltonus und öffnen den sogenannten «Körperpanzer», also die körperlichen Schutzstrukturen von verdrängter Wut, Angst oder Trauer. Durch den Einsatz dieser Techniken, die immer mit Achtsamkeit und vertiefter Atmung ausgeführt werden, erzeugen wir, weit mehr als durch Reden allein, einen neuen psychophysiologischen Zustand: die Patient*Innen lernen, wie sie sich selbst regulieren können, was der erste Schritt ist, um aus Teufelskreisen von Angst, Stress, Regression oder Depression aussteigen zu können.
Die Techniken der Selbstregulation stellen die «Bottum-up»-Interventionen der YoPT® auf körperlicher Ebene dar, dazu kommen die kognitiven «Top down»-Interventionen. Die Patient*Innen sollen verstehen, was sie erlernen und wozu dies gut ist. Mit dem Verstehen wächst die Motivation, Verantwortung für den Therapieprozess zu übernehmen und die yogischen Techniken auch selbst zuhause zu üben. Doch es geht nicht um Selbstregulation allein. Der Einsatz der «Yoga-Tools» ist immer mit einem therapeutischen Anliegen verbunden, das zugleich auf zwei Ebenen bearbeitet wird: verbal (Bereich der Beta-Hirnwellen wie Denken, Sprechen, Problemlösen) und prozessual (Bereich der Alpha-Hirnwellen wie Imaginieren, Visionieren, Erahnen).
Der letzte Punkt, der die YoPT speziell auszeichnet, ist das intendierte spiegelneuronale Arbeiten. Patient*in und Therapeut*in praktizieren die «Yoga-Tools» immer gemeinsam, im gleichen Rhythmus und Takt, sich gegenüberstehend oder auch nebeneinander. Diese Spiegelung aktiviert das SES (Social Engagement System)[3] und erzeugt eine spezielle Verbundenheit, die das prozessuale Arbeiten vertieft.
EMDR oder EMI sind «bifokale» Techniken: neben dem neuronalen Trauma- oder Problemnetzwerk des Patienten wird ein Ressourcen-Netzwerk aufgebaut (bei EMDR durch die Augenbewegungen), wodurch das Problem rascher als durch Reden allein verändert werden kann. Mit dem spiegelneuronalen Arbeiten ermöglicht uns die YoPT® sogar einen «trifokalen» Ansatz, der hoch effizient ist: neben dem Problemnetzwerk, also dem Thema des Patienten (erster Fokus), wird als zweiter Fokus die «Yoga-Ressource» aufgebaut mit Atemtechnik, Mudra und Körperposition. Diese «Yoga-Ressource» wird gemeinsam mit der Therapeutin praktiziert, wodurch die Spiegelneuronen miteinbezogen werden, die den dritten Fokus darstellen. Die dreifache neuronale Aktivierung sorgt für das rasche und tiefe Bearbeiten der Problem- und Trauma-Netzwerke, die sich so sehr effizient verändern lassen.
Die «Yoga-Ressource» wird durch die Mudras mit Selbstwert, Selbstliebe, Selbstabgrenzung und Selbstmitgefühl verbunden, was sie zur körperlich verankerten positiven Basis für alle weiteren Schritte des psychotherapeutischen Prozesses macht. Sie ist der Boden, auf dem wir bei Angststörungen Expositionen durchführen können, sie ist der Motivator für die Arbeit mit Depression, sie ist die Ressource für die Trauma-Bearbeitung und die sichere Instanz bei der Ego-States und inneren-Kind-Arbeit.
Die Heilung der alten Wunden des Limbischen Systems ist ein zentrales Element der YoPT. Erst wenn das «innere Kind» der Patient*Innen «aufatmet», weil die alten, abgespaltenen Gefühle der Wut, Angst, Einsamkeit und Trauer wahrgenommen und integriert wurden, können auch die Abwehr- und Schutzstrukturen der Patient*Innen hinfällig werden und erst dann geht es mit der Selbstentwicklung voran.
Wenn dies geschehen ist und die alten dissoziierten Gefühle integriert und transformiert wurden, dann öffnet sich ein weiterer Bereich, den wir in der YoPT ebenfalls miteinbeziehen: Nach der Arbeit mit dem «Unterbewussten» der Vergangenheit folgt die Arbeit mit dem sogenannten «Überbewussten» der Zukunft. Es ist dies der Weg zum schlummernden Potential, welches im Alltagstrott oft unbewusst und auf der Strecke bleibt. Vieles wäre möglich, wenn wir den Zugang zu den intuitiven, visionären, meditativen, sogenannt «höheren Bereichen» unseres Geistes erhielten. Auch dies strebt die YoPT an, getreu der yogischen Tradition der Öffnung höherer Bewusstseinsebenen. Sobald die Schatten integriert sind und das «innere Kind» glücklich ist, öffnen wir über Körper- und Atemarbeit eine spezielle Art der meditativen Innenschau und damit die Pforten zum Potential der Zukunft, zum inneren Licht, zur Kreativität und zur Inspiration.
Die Yoga-Psychotherapie YoPT nutzt das alte Wissen des Yogas und hat vieles davon zu einer modernen, hoch effizienten Psychotherapie geformt. Sie hat damit einen alten Pfad in einen neuen Weg übergeführt, den man mit neuronalen Begriffen beschreiben kann. Doch im Hintergrund befindet sich noch immer derselbe Pfad wie in alten Zeiten und auch das Ziel, das er anstrebt, ist letztlich dasselbe geblieben.
Miriam Popper
Institut für Yogapsychotherapie YoPT
Steinwiesstrasse 37 / 8032 Zürich
[1] So hiess der grosse Psychotherapie-Kongress 2019 in Bremen, der sich dem Einbezug des Körpers in die Psychotherapie widmete.
[2] Neben Hatha-Yoga gibt es weitere Formen des Yoga, welche die Einheit von Körper und Geist auf andere Art und Weise anstreben, über Hingabe des Ego und Liebe zu Gott (Bhakti-), Einsichtsmeditation in die Struktur des Selbst (Jana-), selbstloses Dienen (Karma-) oder eine Verbindung von verschiedenen Techniken (Raja oder Kriya-Yoga).
[3] Die YoPT hat Stephen Porges Polyvagaltheorie in ihre Arbeitsweise integriert und verbindet sie mit ihren yogischen Techniken. (vgl. z.B. auch Deb Dana. Die Polyvagal-Theorie in der Therapie. Den Rhythmus der Regulation nutzen).